2022

Rede zum Haushalt 2022

Liebe Kempener MitbürgerInnen, liebe Gäste,
sehr verehrte Damen und Herren der Verwaltung und der Presse,
liebe Ratskolleginnen und -kollegen, sehr geehrter Herr Bürgermeister,

Unsere Stadt kann mehr und was braucht es für ein nachhaltiges Kempen

Irgendwie war die diesjährige HH-Planung für das Jahr 2022 herausfordernd und gleichzeitig bizarr.

Eingebracht wurde der HH im Oktober 2021. Drei Monate später haben wir eine Veränderungsliste mit 195 zusätzlichen Posten (!) als Ergänzung zu den auf ca. 630 Seiten eingebrachten HH durch unseren Kämmerer. Und auch unser aktueller Stellenplan hat seit Oktober 2021 einen mehr als dynamischen Prozess durchlaufen. Wobei ich das beim Stellenplan sogar verstehen kann. Die letzten Jahrzehnte des Nichthandelns eines CDU Bürgermeisters im Personalmanagement rächen sich heute bitter! Von daher ist es großartig, wie es unserem jetzigen, parteilosen Bürgermeister gelungen ist, dieses enorme Versäumnis der Vergangenheit innerhalb eines Jahres anzupacken und neu zu strukturieren. Aber das bleibt leider nicht seine einzige Herkulesaufgabe. Von daher bewundere ich seine Haltung, sich nicht vor der Verantwortung zu drücken, sondern eine neue Dynamik des Handelns innerhalb der Verwaltung zu entfachen. Wenn wir Modernisierung und Digitalisierung jetzt als verantwortliche Entscheiderinnen und Entscheider für unsere Stadt nutzen, haben wir eine Chance Kempen als einen attraktiven Arbeitgeber zu entwickeln – aber nicht mit dem Tempo und den Maßnahmen der lethargischen Vergangenheit.
Dennoch bewundern wir im Verwaltungsgefüge immer auch noch das Zusammenspiel aus nicht genutzten Chancen, Zufall, schlechtem Timing, Ängsten und einigem mehr. Und bei Ängsten kennt sich besonders unser „Ordnungsdezernent“ hervorragend aus – aber dazu später in meiner HH-Rede.

Meine sehr geehrten Damen und Herren

Am 24. März 2021 hat das Bundesverfassungsgericht die wegweisende Entscheidung getroffen, dass bei allen Entscheidungen die Interessen der künftigen Generationen mitzudenken sind.

Wir sprechen hier von Generationengerechtigkeit.

Und in seiner Begründung hat das Bundesverfassungsgericht unter Bezug auf das Staatsziel Umweltschutz in Art. 20 a GG die Verpflichtung (!) des Staates betont, Belastungen zwischen den Generationen nicht einseitig zu Lasten der Zukunft zu verteilen.

Übersetzt bedeutet das für uns als Kempener Kommune, unser Handeln konsequent am Leitprinzip der Nachhaltigkeit und an der fristgerechten Erreichung der Ziele der Agenda 2030 auszurichten – mit der Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft 17 Ziele (Substainable Development Goals; SDGs) für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung gesetzt.

Um zukünftigen Generationen und deren Gestaltungsfreiheit nicht zu gefährden, sollen wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte bei jedem kommunalen Vorhaben einem Nachhaltigkeitscheck (N-Check) unterzogen werden. Der N-Check gibt Anhaltspunkte und Denkanstöße: Wie nachhaltig ist ein kommunales Vorhaben? Wie kann es nachhaltiger werden?

Es ist primär ein Arbeitsmittel, um ein besseres Verständnis der Vorhaben, z. B. geplante Projekte, Konzepte und Maßnahmen, sowie einzelne Maßnahmen und Projekte aus Stadtentwicklungskonzepten zu entwickeln und gute Entscheidungen erarbeiten zu können.

Und diese Leitfragen gehen über die reine Betrachtung einer ökologischen Tragfähigkeit hinaus, wie sich z.B. ein Vorhaben auf den Klimaschutz und die Senkung der Treibhausgas-Emissionen auswirkt.

Neben ökologischen Aspekten werden auch Leitfragen zu wirtschaftlichen Gesichtspunkten nachgehalten, z. B. wie wirkt sich das Vorhaben auf den kommunalen HH aus im Sinne von Folgekosten, zukunftsorientierte Investition, Handlungsspielräume zukünftiger Generationen.

Im Hinblick auf soziale Auswirkungen kann dieser N-Check z. B. beim Wohnraumangebot das Angebot von bezahlbarem und bedürfnisgerechtem Wohnraum für alle Gesellschaftsgruppen eine Leitfrage sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren

Im September 2019 hatten wir uns in einem ersten Schritt auf die Erstellung eines integrierten Klimaschutzkonzeptes verständigt. Was ist seither passiert: viele Anträge zum Themenfeld Umwelt- und Klimaschutz liegen vor, eine Auftaktveranstaltung im Rahmen einer Onlinekonferenz, ein Zwischenbericht „Energie- und Treibhausgas-bilanz mit Potenzialanalyse und Szenarien für die Stadt Kempen“ ist veröffentlicht. Und hoffentlich gelingt es uns ab diesem Frühjahr viele Potenziale zur Energieeinsparung, zur Energieeffizienz und zum Ausbau von erneuerbaren Energien in Kempen umzusetzen, um das ambitionierte Ziel der Klimaneutralität 2035 zu erreichen.

Damit dies auch gelingen kann, haben wir im Vorfeld gemeinsam eine Stelle für eine Ingenieurin/einen Ingenieur zu Umsetzung des Ausbaus von Photovoltaik und Erneuerbaren Energien ermöglicht, um dem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien auch eine zentrale Bedeutung zuzuordnen.

Daneben soll aus unserer Sicht ein Klimaneutrales Energieversorgungskonzept für den Kempener Westen erstellt und der Bau von Photovoltaikanlagen in zukünftigen Bebauungsplänen verpflichtend gemacht werden. Darüber hinaus sind unsere Anträge zur Erstellung eines nachhaltigen, kommunalen Mobilitätskonzeptes sowie die Erarbeitung einer Gründachstrategie für Kempen – beide aus dem September 2019 – und die Erstellung der Bauleitplanung mit klimaangepassten Baumaterialien für den Kempener Westen nach wie vor auf der To-Do-Liste.

Zu den Folgen des Klimawandels gehören neben den steigenden Temperaturen auch Extremwetterereignisse wie Hitze, Dürre und Starkniederschläge. Und hier gilt es, den Bevölkerungsschutz bei gleichzeitiger Entwicklung des Kempener Westens und eine damit einhergehenden Standort- und Kapazitätsanalyse im Rettungsdienst frühzeitig mitzudenken und eine verlässliche Risikoanalyse zu entwickeln, ob wir in Kempen z. B. eine weitere Feuer- und Rettungswache zur Sicherstellung des Bevölkerungsschutzes planen und umsetzen müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

zur nachhaltigen Gestaltung einer resilienten Stadt gehört unser Augenmerk – neben den präventiven Ansätzen, der Klimakrise entgegenzuwirken – der digitalen Transformation unserer Verwaltung. Die öffentliche Verwaltung ist von ihrer Struktur her Dienstleister für die Allgemeinheit und ihre Qualität ist ein maßgeblicher Standortfaktor. Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und gesellschaftliche Akteure haben den Anspruch, dass ihre Anliegen schnell und effizient aufgenommen und behandelt werden. Strategisches Ziel ist dabei eine nachhaltig und ganzheitlich digital transformierte Verwaltung, statt lediglich einzelne Verwaltungsprozesse zu digitalisieren.

Im Rahmen des E-Government gilt es dringend das Onlinezugangsgesetz (OZG) umzusetzen, da hier die Umsetzungsdeadline Ende 2022 ausläuft.

In einem weiteren Schritt muss der Bereich Open Government und Open Data ausgebaut werden. Hier geht es um die Bereitstellung substanzieller Beteiligungsmöglichkeiten unserer Bürgerinnen und Bürger. Hierzu zählen z.B. Dialogverfahren, um Stellungnahmen zu Satzungen und Planungsvorhaben abzugeben. Nicht nur, dass wir hier ein Stück lebendige Demokratie unterstützen – wir können auch das Know How unser Bürgerschaft nutzen. Im Nachhinein hätte ich mir dies bei der Entwicklung unserer aktuellen Sondernutzungssatzung gewünscht.

Die große Aufgabe der digitalen Transformation kann jedoch nur gelingen, wenn wir das auch (zumindest) mit einer VZ-Planstelle hinterlegen. Von daher halte ich die Anmeldung der Verwaltung zur Neuschaffung einer Stelle auf Referentenebene für schlau und nachhaltig, um die Koordination und Umsetzung übergeordneter Aufgaben aus der Verwaltungsvorstandsarbeit der Dezernenten herauszutrennen. Dies würde auch die Chance bieten, die strategischen Themenfelder der Digitalen Transformation und Nachhaltigen Transformation in unserer Stadt voranzutreiben.

Um in einer Zukunft nach Corona auch im Tourismusbereich wieder durchstarten zu können, muss die vakante Stelle im Referat Tourismus und Stadtmarketing zeitnah mit kompetentem und qualifiziertem und an Tourismus interessiertem Personal endlich besetzt werden.

Nur so vermeiden wir, von der Niederrheinischen Tourismuskarte langsam, aber sicher zu verschwinden. Wir sollten alles daransetzen, dass sich kurze Abstecher oder auch längere Urlaubstage am Niederrhein lohnen – und das auch in Kempen!

Eine vorläufig letzte Anmerkung im Personaltableau möchte ich bei der Wirtschaftsförderung machen. Hier haben wir im Jahr 2018/2019 ein umfangreiches Tätigkeitsprofil beschrieben, das es in Teilen noch mit Leben zu füllen gilt. Corona bedingt hat es sicherlich Prioritätsverschiebungen gegeben, aber jetzt sehen wir für 2022 durchaus den Spielraum, die Erarbeitung eines Wirtschaftsförderungskonzeptes und Definitionen von Standortprofilen und ggfs. Branchenkonzepten anzugehen, damit wir auch in Zukunft ein starker Wirtschaftsstandort mit einer hohen Innovationskultur bleiben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

gegen Ende meiner HH-Rede komme ich noch mal auf zwei Themenfelder zurück, zum einen Finanzen – bei einer HH-Rede jetzt wohl nichts Ungewöhnliches – und zum anderen Ordnungsamt. Praktischerweise wird beides vom gleichen Dezernenten verantwortlich geleitet.

Ich beginne mal mit dem schönen Themenfeld „Finanzen“.

Laut dem Bericht der Gemeindeprüfanstalt NRW ist es gelungen, in den Berichtszeiträumen 2014 bis 2018 und lt. aktuellem HH-Planentwurf auch in den Jahren 2019 und 2020 ausschließlich positive Jahresergebnisse zu erzielen. Auch die Rücklagenentwicklung zwischen 2011 bis 2020 mit einem satten Plus von 20 Mio. € bestätigt, dass Kempen nicht – wie das letzte Jahrzehnt behauptet – die Verarmung droht.

Gleichzeitig wird uns bei jeder HH-Einbringung ein Defizit – in der Spitze bis zu minus 10 Mio. € (2020) prognostiziert und das Gespenst der Haushaltssicherung zum Spuken gebracht.

Letztes Jahr hat im Januar 2021 sogar eine Konsolidierungsrunde aller Fraktionen stattgefunden. Und auch in den vorangegangenen Jahren, in welchen wir mit ordentlichen Rücklagenzuwächsen abschlossen, fanden immer wieder „Notfall-Konsolidierungen“ statt und es wurden wichtige Projekte und Vorhaben nicht umgesetzt oder auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben. Gleichzeitig wird uns von unserem bestellten Stadtkämmerer immer wieder gesagt, dass er nur Anmeldungen der Fachämter entgegennimmt, Ratsbeschlüsse umsetzt usw.…

Mit Verlaub, dafür würde uns auch ein „beauftragter“ Kämmerer reichen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

auch das ist ein Grund, warum der jetzige Bürgermeister von seinem Amtsvorgänger in vielen Bereichen einen Scherbenhaufen übernommen hat. Personalprobleme, marode städtische Gebäude, Flickschusterei bis zum geht nicht mehr. Das muss endlich vorbei sein. Daher erwarten wir von einem „bestellten“ Stadtkämmerer, dass er nicht permanent erzählt, was nach seinen Planungen NICHT möglich ist, sondern wie die Stadt, auch mit dem massiven Einsatz finanzieller Mittel, endlich wieder auf einen grünen Zweig kommt!

Dass wir im Prozessmanagement für den HH-Planentwurf Verbesserungspotenziale haben, hatte ich schon in der letzten HH-Rede im März 2021 angemahnt. Zwar sind erste Schritte hin zu einem realitätsnäheren Haushaltsplan, insbesondere im Personalwesen zu erkennen, jedoch muss es das Ziel sein, endlich unter eine vertretbare Marke von unter fünf Prozent Abweichung von Plan und Abschluss in unserem Haushalt zu kommen.

Gleichzeitig muss es nach zwei sehr anstrengenden und unstrukturierten Planungsprozessen, welche zur Folge hatten, dass wir heute hier sitzen, auch für den ehrenamtlichen Bereich zeitlich leistbare Prozesse geben.

Massive Veränderungen als Tischvorlage, mehrere Hundert Seiten an Vorlage, welche keine zwei Tage vor Sitzungen bereitgestellt werden, fehlende Indexe, fehlerhafte Vorlagen etc. etc. Das insbesondere die haushaltpolitischen Sprecher der Fraktionen nach Jahren der Anmahnung nun gesagt haben: „So ein Durcheinander an Vorlagen und Änderungen machen wir nicht mehr mit.“ war die Quittung.

Daher brauchen wir, neben einem auch für ehrenamtliche Ratsmitglieder zu leistenden Planaufstellungsprozesses, auch dringend ein unterjähriges ganzheitliches Finanzberichtswesen, um ggfs. auch unterjährig eine seriöse Haushaltssteuerung sicher zu stellen, am liebsten im Rahmen eines zentralen digitalen Finanzcontrollings.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich erlaube mir einen kleinen Rückblick auf den November/Dezember 2021. Es war die Zeit, dass die CoronaSchVO unter den Rahmenbedingungen eines 2G unseren Weihnachtsmarkt ermöglicht hat oder sollte ich lieber sagen hätte, wenn es nicht Blockaden von Seiten des Ordnungsdezernats gegeben hätte. Satzungstechnisch genehmigt hatten wir das als Rat schon.

Damit unsere BürgerInnen sowie UnternehmerInnen und gesellschaftlichen Akteure die bestmögliche Dienstleistungsqualität serviceorientiert auch in Zukunft erhalten können, brauchen wir in Kempen für das Ordnungsdezernat dringend das Wunder des dienstleistungsorientierten Handelns, damit Veranstaltungen, Aktivitäten nicht behindert und tot reglementiert werden, sondern unter den geltenden Rahmenbedingungen ermöglicht werden und BürgerInnen, UnternehmerInnen und gesellschaftliche Akteure bei der Gestaltung von Aktivitäten proaktiv unterstützt werden.

Dass die Absage des Weihnachtsmarktes dann vom Ordnungsdezernenten so gedreht wurde, dass sich der Veranstalter genötigt sah, den Weihnachtsmarkt absagen zu müssen, setzt dem Ganzen die Krone auf. Durch solch eine Verhinderungshaltung und fehlender risikoorientierter Entscheidungsfähigkeit innerhalb bestehender Rahmenbedingungen verliert unsere Heimatstadt Kempen nach und nach an Attraktivität und es werden Leerstände in der Innenstadt provoziert, die nicht nötig sind. Und das gilt es mit aller politischer Kraft zu verhindern.

Und zum ersten Mal in meinem politischen Leben werden wir als GRÜNE Fraktion von unserem Recht auf Akteneinsicht nach § 55 Abs. 4 GO NRW Gebrauch machen, um den Ablauf dieser Verwaltungsangelegenheit in dem Ordnungsdezernat zu kontrollieren.

gez.

Joachim Straeten

Fraktionsvorsitzender

 

Die Veröffentlichung in der RP findet Ihr hier: https://gruenlink.de/2f6d

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