Haushaltsrede 2016

Rede zum Haushalt 2016

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Gäste,
sehr verehrte Damen und Herren der Verwaltung und der Presse,
liebe Ratskolleginnen und -kollegen, sehr geehrter Herr Bürgermeister,

Es kommt anders, WENN man denkt!

Bevor ich in meine HH-Rede einsteige, möchte ich mich im Namen der Fraktion B´90/Die Grünen für die außergewöhnliche, manchmal auch an die persönlichen Grenzen gehende Arbeit unserer Verwaltung aus tiefstem Herzen und mit großem Respekt bedanken. Sie waren es, die mich zu meinem Leitgedanken für die diesjährige HHRede inspiriert haben. Es kommt anders, WENN man denkt.

Gerade bei der Unterbringung der Flüchtlinge ist es ihnen hervorragend gelungen, Lösungen zu finden, auf die wir als Stadt stolz sein können.

In der Flüchtlingsfrage haben wir es mit einem der größten Veränderungsprozesse in unserem städtischen Leben zu tun. Und dass Veränderungsprozesse eine große Herausforderung sind, zeigen die täglichen Meldungen und Berichte der Medienlandschaft. Aus der Soziologie kennen wir den Veränderungsmechanismus, den Menschen durchmachen, wenn sie mit einer Veränderung konfrontiert werden. Federführend ist hier die Trauerforscherin, Elisabeth KüblerRoss. Sie entwickelte eine sogenannte „Veränderungskurve“, die sich durch 5 Phasen auszeichnet.

Ich möchte die 5 Phasen eines Veränderungsprozesses gerne in kurzen Sätzen anhand der Flüchtlingssituation erläutern.

Die öffentliche Meinung und die Reaktion einiger Staatschefs in Westeuropa lassen einen vergleichbaren Umgang mit dem Veränderungsprozess in der Flüchtlingssituation erkennen.

In der 1. Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens werden Tatsachen verdrängt, das heißt, der sich seit Frühjahr 2015 abzeichnende Flüchtlingsstrom wurde erst mal einfach ignoriert. In einer weiteren (2.) Phase entwickelt sich Zorn – die Flüchtlinge sind eine Bedrohung für unsere Lebensweise, unter ihnen befinden sich muslimische Fundamentalisten, sie sind um jeden Preis aufzuhalten. Die 3. Phase zeichnet sich durch das Bemühen um Verhandlungen aus – man will Quoten einführen und Flüchtlingslager in den Herkunftsländern unterstützen. In der Folge gibt es depressive Reaktionen (Phase 4) – soll heißen, wir sind verloren, aus Europa wird ein Europastan. Nur die 5. Phase, die der Akzeptanz einer Situation, die ich ohnehin nicht ändern kann, gelingt noch nicht so richtig. Hier ringt Frau Merkel aktuell auf der großen politischen Bühne darum, dass sich die Akzeptanz der Flüchtlingssituation nur in einem einheitlichen, gesamteuropäischen Plan zum Umgang mit den Flüchtlingen entwickeln wird. Und da hat sie Recht.

Vielleicht habe ich sie mit meinen kleinen soziologischen Exkurs im Augenblick irritiert und sie werden sich fragen, was hat das mit Kempen zu tun?

Ich kann die Fragezeichen in ihren Augen verstehen, dennoch geht es mir darum, bewusst zu machen, in welch sensiblem Spannungsfeld wir uns auch hier in Kempen befinden. Und da hilft es nicht, wenn sie als CDU medienspektakulär über ihre Bundestag- und Landtagsabgeordnete ein Gefahrenszenario für unsere Kommune verlautbaren lassen, dass eine Mehrbelastung für den HH von 737.913,65 Euro droht, ohne eine entsprechende Datenquelle zu benennen. Hier drängt sich für mich der Verdacht auf, dass die CDU ganz bewusst ein falsches Zahlenspiel betreibt, was in der jetzigen Stimmung in der Bevölkerung zu mehr Sorgen, Ängsten und Ablehnung von Flüchtlingen führt. Und das auf dem Rücken von Menschen, die außer ihrem nackten Leben nichts mehr haben, die dem Terror, der Verfolgung und den Kriegsverbrechen entkommen sind. Unterhalten sie sich mal „in Echt“ mit einem syrischen Vater und seinem traumatisierten Sohn, die die gefährliche Überfahrt überlebt haben, dessen Ehefrau und weitere 4 Kinder vor ihren Augen ertrunken sind. Das ist etwas anderes als die anonymen Bilder aus dem Fernsehen.

Von daher will ich an dieser Stelle auch allen ehrenamtlichen Helfern auf diesem Wege unseren tiefsten Dank aussprechen. Ihr Engagement, ihre Unerschrockenheit, ihr Wille zur Integration der Geflüchteten in unserer Stadt lassen uns stolz sein, ihre Stimme im Rat der Stadt Kempen zu sein.

Und nur zur abschließenden Klarstellung:
In der Veränderungsliste für den HH-Planentwurf 2016 sind die Ansätze für Leistungen für Asylbewerber durch die bereits zum damaligen Zeitpunkt angekündigte Erhöhung der Landeszuweisung nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz um 1,15 Mio. EUR gegenüber dem bisherigen Ansatz erhöht worden. Also – werte Kollegen der CDU: was sollte die künstliche Empörung? Kümmern wir uns doch lieber um die wirklichen Probleme in unserer Stadt, z. B. bei der Festlegung der Eingangsklassen an den Grundschulen im Kempener Süden.

„Der Haushalt 2016 ist in weiten Teilen eine Fortschreibung unter Beachtung der eisernen Regel der Sparsamkeit“, so der Bürgermeister bei der Einbringung des HH 2016.

Dass mit der Fortschreibung teilen wir, was die Hauptpunkte des HH in Sachen Schulsanierung, Baumaßnahmen im Kanal- und Straßenbau und die Feuerwehrfahrzeuge angeht.

Uns wäre nur sehr daran gelegen, dass wir eine HH-Aufstellung erhalten, die auch realistisch ist. Und dass sich nicht so gravierende Schwankungen zwischen Erstellung des HH und dem tatsächlichen Ergebnis ergeben.

So wurde in 2012 eine Unterdeckung von 3,8 Mio. € prognostiziert und als Ergebnis 2012 kam ein Überschuss von 1,4 Mio. € zum Vorschein. Im folgenden Jahr 2013 ist der prognostizierte Jahresfehlbetrag von seinerzeit 4,1 Mio. € auf 0,9 Mio. € gesunken. Auch in 2014 ist ein Defizit von 3,3 Mio. € errechnet worden und das vorläufige Endergebnis weist einen Überschuss von 1,6 Mio. € aus. Von daher hat die eiserne Regel ihrer Sparsamkeit, Herr Bürgermeister, nur bedingten Wert bei der Einbringung des HH 2016. Aktuell wird für den Kempener HH ein Defizit von 5,8 Mio. € erwartet. Mal sehen, was am Ende dabei rauskommt.

Es tut mir auch leid, dass Herr Geulmann als neuer Kämmerer sich das jetzt anhören muss, obwohl er für die Aufstellung der vergangenen HH keine Verantwortung trägt. Wir haben jedoch das Vertrauen und die Hoffnung, dass es ihnen gelingen wird, eine annährend realistische Prognose eines Defizits oder vielleicht auch eines Überschusses uns darzustellen. Und dass die enormen Schwankungsbreiten zwischen Prognose und Endergebnis der Vergangenheit angehören.

Denn, wie oft haben wir gewünschte politische Maßnahmen nicht in Angriff genommen und so Chancen liegen lassen, weil angeblich kein Geld zur Verfügung stand.

Und wie jedes Jahr möchte ich darauf hinweisen, dass ein Haushaltssicherungskonzept nicht erforderlich ist, Kassenkredite nicht erforderlich sind, Kreditaufnahmen zur Finanzierung der beabsichtigten Investitionen zwar erforderlich werden, aber die Verzinsung sich auf niedrigstem Niveau bewegt und wir uns auch nicht bei RWE eingekauft haben.

Aber – kommen wir zurück zu unserem Leitgedanken.

Dieser HH ist ein HH im Fortschreibungszeichen der Sanierung. Egal welchen HH-Posten wir uns anschauen, eine Sanierung der Gebäude und Außenanlagen einschließlich Brandschutz ist immer dabei. Dabei sind schon so viele Sanierungsvorhaben aufgelaufen, das zu befürchten ist, dass dringende Maßnahmen mal wieder dem Sanierungsstau zum Opfer fallen.

Von daher sind wir froh, dass jetzt vermehrt Maßnahmen nach extern vergeben werden, wenn sie zeitnah nicht selber durch die Verwaltung bearbeitet werden können. Als prominentes Beispiel möchte ich hier die Machbarkeitsstudie zur Erstellung von 2 Aufzugstürmen an der Erich Kästner Realschule erinnern, die auf Antrag unserer Fraktion im Dezember letzten Jahres auf den Weg gebracht wurde, um barrierefreies Lernen und Lehren zu ermöglichen. Und wir hoffen inständig für die Schüler, Eltern und Lehrer, dass dieses Projekt nicht durch Bedenkenträger oder Verhinderer verlangsamt wird und noch in 2016 umgesetzt wird.

In der HH-Rede 2014 haben wir im Rahmen der Sanierung der Kanäle in Kamperlings-West ausgeführt, wie wir uns wirkliche Bürgernähe vorstellen. Wie Bürger ernsthaft in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen sind und sich weit im Vorfeld auf eine finanzielle Beteiligung bei einer Kanal- und Straßensanierung einstellen können.

Ich möchte das an einem Beispiel darstellen, dass das aktuelle Verwaltungshandeln hier noch Verbesserungspotenzial beinhaltet: Lt. dem aktuellen HH-Ansatz sind für die Kanalerneuerung Wachtendonker Straße 335 T € in 2018 eingestellt worden. In 2017 soll dafür mit der Planung begonnen werden. Diese Sanierung wird für die Anwohner mit einigen Kosten verbunden sein. Hier würde wir uns wünschen, dass schon Ende 2016 die betroffenen Anwohner über diese anstehende Kanalerneuerung informiert werden und auch schon ihre voraussichtliche finanzielle Beteiligung genannt bekommen, um sich
entsprechend auf die anstehenden Gebühren einzustellen.

Wohl wissend, dass so spannende Themen wie „bezahlbarer und gemeinnütziger Wohnraum“, eine „intelligente Klima- und Verkehrspolitik im Kontext eines ganzheitlichen kommunalen Klimaschutzprogramms“, eine „innovative und moderne Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik“, die „Gleichstellung von Männern und Frauen“ sowie das „kommunale Personalmanagement“ in der heutigen HH-Rede außen vor bleiben müssen …… so haben wir es bisher immer bedauert, dass wir so viele Themen in der HH-Rede nicht darstellen können, wie wir es gerne getan hätten.

Aber das Stichwort „kommunales Personalmanagement“ führt mich zu der in diesem Jahr vorgesehenen Organisationsuntersuchung unserer Verwaltung. Wenn wir das ganzheitliche Klimaschutzkonzept im Moment noch nicht hinbekommen, hoffe ich doch sehr, dass die Organisationsuntersuchung ganzheitlich stattfinden wird.

Soll heißen, dass wir nicht nur Personal von einem Dezernat ins andere verschieben, sondern uns der Organisation ganzheitlich nähern. Also: wie gestalten wir unsere Verwaltung Kunden- und Mitarbeiterorientiert.

Dazu gehört für uns auch, dass wir die im Haushalt verbalisierten Ziele und Leistungsmerkmale in letzter Konsequenz mit Kennziffern operationalisieren. Ich mache das gerne an zwei Beispielen deutlich:

Im HH-Plan finden wir auf S. 437 zur Wohnungsbauförderung folgende Ziele und Leistungsmerkmale:  Im Bereich Wohngeld durch Beratung und unmittelbare Ansprache das hohe Engagement zur Aktivierung der Wohngeldempfänger zur Beantragung von Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabegesetz (BuT) beibehalten.  Jährliche Berichterstattung zum Bestand öffentlich geförderter Wohnungen

In einer Tabelle werden dann Grunddaten und relative Kennzahlen rein mathematisch dargestellt. So können wir erkennen, dass der Anteil öffentlich geförderter Wohnungen seit 2013 von 5,3% auf 4,3% in 2016 sinken wird.

Und das, obwohl die Anzahl der Zahlfälle für Wohngeld A und die Anzahl der Wohngeldberechnungen steigt.

Hier stellen wir uns vor, dass wir nicht nur relative Kennzahlen zur Kenntnis nehmen, sondern ein Ziel vereinbaren, d. h. mit einer Kennziffer hinterlegen (z. B. 5,5%) und diese, bei Nichterreichen, mit geeigneten Maßnahmen hinterlegen.

Verbalisiert würde das dann so formuliert werden: Beim HH-Ansatz Wohnungsbauförderung streben wir als Stadt Kempen einen Anteil öffentlich geförderter Wohnungen von 5,5% an.

Nebenbei bemerkt, lässt sich so auch konstruktivere Politik gestalten, da schneller erkennbar ist, wo wir als Stadt Handlungsbedarf haben und wo nicht.

Ähnliches lässt sich auch beim HH-Ansatz „Abfallwirtschaft“ (s. S. 445) darstellen, in dem man hier eine ökologische Komponente mit einbaut. Wie stehen wir im Vergleich zu Referenzkommunen in Sachen „Restmüll“. Ist 6.900 to ein guter oder schlechter Wert. Oder sind wir da eher anstrengungsarm unterwegs. Dazu müsste man diese Zielgröße natürlich pro Einwohner erst mal umrechnen.

Und damit der Aufschrei nicht direkt so groß wird. Nein, wir wollen das nicht für alle HH-Ansätze. Dies sollen auch nur 2 Beispiele dafür sein, was wir auch unter einer gestalterischen Organisationsuntersuchung verstehen.

Zum Abschluss sei mir noch ein kleiner Exkurs mit geschichtlichem Hintergrund erlaubt:

Zukunft Burg – unter diesem Titel lief im Frühjahr 2015 die Studentenwerkstatt zur Umnutzung der Kurkölnischen Landesburg Kempen. Der damalige Kreisdirektor und Kreiskulturdezernent und der mittlerweile gewählte Landrat, Herr Coenen, und der Bürgermeister der Stadt Kempen wollten damals das Projekt auf einem gemeinsamen Weg entwickeln und umsetzen. Davon ist im Moment nichts mehr spürbar. Für uns hat der Landrat, Herr Coenen, die Vereinbarung der Gemeinsamkeit aufgekündigt und er macht jetzt „sein Ding“. Schade ist nur, dass das auf dem Rücken der Kempener Bevölkerung ausgetragen wird. Aber das scheinen ja 69,11 % der Kempener Wähler*innen seinerzeit gut gefunden zu haben, so viele haben nämlich Herrn Coenen aus dieser Stadt gewählt. Ob sie das alles so gewollt haben?

Aber werfen wir lieber einen Blick in die Zukunft. Wie geht´s mit der Burg und dem Kreisarchiv weiter? Dass das Kreisarchiv zu und nach Kempen gehört, versteht sich aus unserer Sicht von selbst.

35% des aktuellen Bestandes des Kreisarchivs umfasst das historische Erbe allein aus der Stadt Kempen. Soll heißen, unsere Kultur ist schon sehr bedeutsam im und für den Landkreis. Für unseren Anteil am Kreisarchiv bräuchten wir lt. LVR-Studie eine Mindestnutzfläche von ca. 600 m².

Von daher schlagen wir vor, den angedachten Bau eines neuen Verwaltungsgebäudes mit einem stadteigenen Archiv zu verknüpfen.

Mit dem Splitten kennen wir uns ja schon aus. Ich erinnere nur an die Trennung von Kreis- und Stadtbibliothek.

Und ich bin gespannt, wie sich die Fraktionsvorsitzende der FDP in Kempen und die Fraktionsvorsitzende der FDP im Kreis Viersen zu dem Thema Kreisarchiv abschließend äußern wird. Vielleicht erfahren wir ja gleich schon mehr, Frau Wistuba. Ich hoffe, sie lösen es für die Bürger*innen in Kempen auf, wofür ihr Herz schlägt. Wenn ich den Medienberichten Glauben schenken darf, scheint Ihnen Grefrath herztechnisch näher zu liegen als Kempen.

Soviel zum Archiv. Bleibt noch die Burg. Die Ausrichtung einer Studentenwerkstatt in 2015 ist der richtige Weg gewesen, sich der Thematik „Umnutzung“ zu widmen. Und es gab viele kreative Ideen. Jetzt beschleicht uns aber ein Szenario, mit dem wir uns beschäftigen müssen. Herr Coenen zieht das Kreisarchiv ab und die Burg ist leer. So kaputt wie die Burg in der LVR-Expertise beschrieben wird, übrigens auch ohne Empörung im Kreisinformationssystem nachlesbar, werte Kollegen der FW, steht die Burg dann ohne Investor da. Ich stelle mir vor dem geistigen Auge schon das weitere Handeln des Landrats vor: Herr Coenen schließt die Burg ab und übergibt die Schlüssel anschließend an seinen Parteifreund, Herrn Rübo, die zusammen schon mal bessere Zeiten miteinander hatten.
Natürlich mit dem Hinweis: Mach was draus, sie gehört dir.
Anrede Es kommt anders WENN man denkt!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Joachim Straeten

Fraktionsvorsitzender

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